Jüngste Forschungen haben die genetische und verhaltensbedingte Vielfalt der Schwertwale an der pazifischen Küste Nordamerikas in ein neues Licht gerückt. Insbesondere die “Residenten” und “Bigg’s” Schwertwale (nach dem kanadischen Wissenschaftler Michael Bigg, manchmal auch als „Transiente“ bezeichnet), die zuvor als unterschiedliche Ökotypen innerhalb einer Art betrachtet wurden, könnten bald als eigenständige Unterarten oder sogar als separate Arten anerkannt werden.
Diese Erkenntnisse stammen aus der Forschungsarbeit von Phillip Morin und KollegInnen, die genetische Unterschiede und jahrtausendealte Evolutionstrends behandelt und die beiden Gruppen in ihrem Verhalten, ihrer Ernährung sowie ihren sozialen Strukturen voneinander abgrenzt.
Unterschiede in Verhalten, Genetik und der Ökologie
Bereits in den 1970er Jahren beobachtete Michael Bigg, dass sich die Residenten und Transienten Schwertwale, obwohl sie oft die gleichen Küstengewässer bewohnten, nicht miteinander paarten oder interagierten. Diese Erkenntnisse führten zur Klassifizierung der Southern Resident Orcas als „Distinct Population Segment“, was ihnen 2005 Schutz nach dem Endangered Species Act gewährte
Neuere genetische, physische und verhaltensbezogene Forschung, die durch die NOAA und andere Institutionen gefördert wurde, bestätigt nun, dass es sich bei den beiden Ökotypen tatsächlich um verschiedene Arten handeln könnte.
Die „Residenten“ Orcas zeichnen sich durch ihre Vorliebe für Fisch, insbesondere Lachs, und ihre ausgeprägte soziale Struktur aus. Diese Tiere leben in engen und stabilen Familienverbänden, die als Pods bekannt sind, und interagieren häufig miteinander.
Quelle: Morin et al. (2024), zeigt eine Draufsicht auf Bigg’s Orcas (links) und Resident Orcas (rechts)
Auch ihr kommunikatives Verhalten in Form von Quietsch-, Ruf- und Pfeiftönen ist sehr ausgeprägt. Im Gegensatz dazu spezialisieren sich die „Bigg’s“ Orcas auf die Jagd nach Meeressäugern, einschließlich Robben und kleineren Walen.. Diese Gruppe jagt in kleineren, flexibleren Gruppen, um ihre Beute effizienter zu fangen und nutzt vornehmlich non-verbale Kommunikationswege, um ihre Beute nicht auf sie aufmerksam zu machen.
Diese Differenzen im Jagdverhalten und in der Sozialstruktur sind nicht nur oberflächliche Anpassungen, sondern tief in der Genetik der beiden Gruppen verankert. Genetische Analysen haben gezeigt, dass sich diese Ökotypen bereits seit über 300.000 Jahren getrennt voneinander entwickeln, was auf signifikante evolutionäre Unterschiede hindeutet.
Dennoch wurden sie lange Zeit lediglich als verschiedene Ökotypen bzw. als unbenannte Unterarten der Spezies Orcinus Orca geführt. In ihrer Arbeit schlussfolgern Phillip Morin und sein Team, dass die die beiden Gruppen künftig jeweils als eigenständige Spezies aufgeführt werden sollte.
Diese jüngsten Forschungserkenntnisse und Forderungen hat der Taxonomie-Ausschuss der Society for Marine Mammalogy nun Anfang September 2024 in seinem jährlichen Report aufgenommen und erklärt, dass sie die Residenten und Transienten Orcas der Pazifikküste zwar noch nicht als eigenständige Arten ansehen, sie sie aber dennoch für den Status einer Unterart des Orcinus Orca nominieren:
„Der Taxonomieausschuss hat seine jährliche Überprüfung der offiziellen Liste der Meeressäugetierarten und -unterarten der Society for Marine Mammalogy für 2024 abgeschlossen. […] Die aktualisierte Liste enthält auch die Aufnahme von drei Schwertwal-Unterarten:Orcinus orca ater (residenter Schwertwal) undO. orca rectipinnus(Bigg’s killer whale), mit O. orca orca (common killer whale) als nominierte Unterart. Gewöhnliche Schwertwale und Bigg’s Killerwale wurden in der Vergangenheit als unbenannte Unterarten anerkannt und waren in früheren Versionen der Liste der vorgeschlagenen unbenannten Arten und Unterarten aufgeführt.“ (Society for Marine Mammalogy, 9.9.2024)
Wissenschaftliche Kontroversen und die Zukunft der Forschung
Trotz der umfassenden genetischen Unterschiede zögert die Wissenschaftsgemeinschaft noch, die Orcas als separate Arten zu klassifizieren. In dem jährlichen Report des Taxonomie-Ausschusses der Society for Marine Mammalogy (2024) wurde betont, dass die Schwertwal-Taxonomie weiterhin Gegenstand intensiver Forschung bleibt:
„Obwohl Morin et al. (2024) vorschlugen, sie als eigenständige Arten von Schwertwalen anzuerkennen, wurde dieser Vorschlag vom Taxonomieausschuss nicht aufgegriffen, da Bedenken bestanden, ob es sich dabei um eine Art oder eine Unterart handelt. Die Gründe dafür waren vor allem (1) ein möglicher episodischer Genfluss zwischen den Ökotypen und (2) die Notwendigkeit, eine umfassendere vergleichende Analyse auf globaler Ebene durchzuführen, um besser zu verstehen, wie unterschiedlich diese Ökotypen von anderen Orcinus orca-Kladen sind.
Daher werden die beiden Ökotypen bis zur Durchführung weiterer Untersuchungen zur besseren Bewertung der Taxonomie der Schwertwale im östlichen Nordpazifik vorläufig als unterschiedliche Unterarten von Orcinus orca betrachtet und nach Morin et al. (2024) benannt.“ (Society for Marine Mammalogy, 9.9.2024)
Es gibt Bestrebungen, die Klassifizierung anzupassen, sobald genügend Beweise vorliegen, um eine klare Artabgrenzung vorzunehmen. Diese Entwicklungen legen die Vermutung nahe, dass in anderen Ozeanen noch weitere unentdeckte Ökotypen existieren, die möglicherweise als eigene Unterarten und im besten Fall als eigene Art klassifiziert werden könnten. Das wiederum würde maßgeblich zum Erhalt der Artenvielfalt in den Ozeanen beitragen.
Source: NOAA Fisheries, Credit: Merlin Smith
Bedeutung für den Artenschutz
Die Unterscheidung zwischen den Ökotypen der Orcas hat weitreichende Konsequenzen für den Naturschutz. Jede Gruppe spielt eine einzigartige Rolle in ihrem Ökosystem: Während die Residenten helfen, die Fischpopulationen zu regulieren, tragen die Bigg’s Schwertwale zur Kontrolle der Bestände von Meeressäugern bei.
Die Überfischung und der Verlust von Lebensräumen bedrohen insbesondere die Residenten, die beispielsweise im Pazifik von stabilen Lachsbeständen abhängig sind. Andernorts in Spanien, sind die Residenten Orcas von den Thunfischpopulationen und ihrem Fang abhängig. Die Anerkennung dieser Gruppen, womöglich sogar als eigenständige Arten, könnte zu spezifischeren Schutzmaßnahmen führen, die auf die Bedürfnisse jeder Gruppe zugeschnitten sind.
Fazit
Die Erkenntnis, dass die „Residenten“ und „Bigg’s“ Schwertwale als eigenständige Unterarten oder sogar Arten betrachtet werden können, stellt einen bedeutenden Fortschritt in der Meeresbiologie und dem Artenschutz dar. Die Differenzierung betont nicht nur die bemerkenswerte Vielfalt innerhalb der Schwertwale, sondern unterstreicht auch die Dringlichkeit, ihren Schutz zu verbessern.
Neben den Orcas der Pazifikküste könnte diese Form der Forschungsarbeit auch auf die im Atlantik lebenden iberischen Orcas angewandt werden. Wie die Residenten im Pazifik zeigen auch die iberischen Orcas ein spezialisiertes und kommunikatives Sozial- sowie Jagdverhalten.
Sollten künftige genetische Studien eine ähnliche Abspaltung wie bei den Pazifik-Orcas aufzeigen, könnte dies zu einer Neubewertung des Schutzstatus der iberischen Orcas führen, die die knapp 35 Individuen dringend benötigen würden. Bis dahin bleibt es von entscheidender Bedeutung, die Lebensräume und Nahrungsquellen dieser einzigartigen Meeressäuger zu schützen.